Inhaltsverzeichnis
- Ermessen - Allgemeines
- Arten von Ermessen
- 1. Entschließungsermessen
- 2. Auswahlermessen
- Rechtsbindungen des Ermessens
- 1. Ermessensnichtgebrauch
- 2. Ermessensüberschreitung
- 3. Ermessensfehlgebrauch
- Ermessen bei automatisierten Verwaltungsentscheidungen (§ 35a VwVfG)
- Ermessensreduktion auf Null
Ermessensspielraum bei Verkehrskontrolle. (© Rico Löb - Fotolia.com)
Ermessen ist ein Ausdruck, der insbesondere im Verwaltungsrecht zu finden ist. Damit ist grundsätzlich gemeint, dass die Behörde, beim Vorliegen der Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsgrundlage, einen Entscheidungsspielraum besitzt.
Ermessen - Allgemeines
Dieser ist zunächst vom Beurteilungsspielraum zu unterscheiden. Ein solcher liegt nämlich dann vor, wenn die Behörde nicht auf der Rechtsfolgeseite, sondern auf der Tatbestandsseite ein Ermessen eingeräumt bekommen hat, also hinsichtlich der Frage, ob überhaupt ein Tatbestandsmerkmal vorliegt. Im Rahmen des Entscheidungsspielraums hinsichtlich der Rechtsfolgenseite ist darüber hinaus zu unterscheiden:
1. Rechtlich gebundene Verwaltung bei den sog. Muss-Vorschriften
Die Rechtsfolge ist in diesen Fällen zwingend, d.h. es besteht eben kein Entscheidungsspielraum.
2. Ermessensverwaltung bei den sog. Kann-Vorschriften
Hierbei handelt es sich um den Regelfall des Ermessens. Wie oben bereits beschrieben kann die Verwaltung zwischen verschiedenen Rechtsfolgen wählen.
3. Rechtlich gebundenes Ermessen bei den sog. Soll-Vorschriften
Im Grundsatz ist in diesen Fällen die Rechtsfolge ebenso zwingend. In Ausnahmefällen kann jedoch von der zwingenden Rechtsfolge abgerückt werden.
Arten von Ermessen
1. Entschließungsermessen
Die Behörde befindet darüber, ob sie überhaupt tätig werden will (sog. Opportunitätsprinzip).
2. Auswahlermessen
Es obliegt der Behörde, die rechtmäßige sowie sachgerechte und zweckmäßige Auswahl von verschiedenen möglichen Maßnahmen zu treffen.
Beachte: Ist der konkreten gesetzlichen Regelung nichts anderes zu entnehmen, so hat die Verwaltung sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen.
Rechtsbindungen des Ermessens
Die Verwaltungsbehörden müssen stets Art. 1 Absatz 3 GG beachten, der sich letztlich auch in § 40 des VwVfG wiederfindet. Danach gibt es nämlich kein „freies Ermessen“, sondern nur rechtsgebundenes Ermessen.
Werden die Grenzen des Ermessens also nicht eingehalten, so liegt ein Ermessensfehler i.S.d. § 40 VwVfG vor, der gerichtlich angreifbar ist.
(Beachte: Wird eine Verwaltungsmaßnahme nicht angegriffen, obwohl sie an einen Ermessensfehler leidet, so kann sie auch in Bestandskraft erwachsen, d.h. wirksam werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für eine fehlerhafte Anwendung und Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen.)
1. Ermessensnichtgebrauch
Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn die Behörde das ihr zustehende Ermessen nicht ausübt, weil sie gar nicht erkannt hat, dass ihr überhaupt ein Ermessen zusteht.
Ein solcher Ermessensfehler liegt aber auch dann vor, wenn die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen zwar angewandt hat, dies jedoch nicht deutlich gemacht hat.
2. Ermessensüberschreitung
Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Verwaltung eine vom Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge wählt, die Rechtsfolge also entweder generell oder lediglich im konkreten Einzelfall unzulässig ist.
3. Ermessensfehlgebrauch
Ein Ermessensfehlgebaucht liegt vor, wenn die Verwaltungsbehörde den Sinn und Zweck des Gesetzes nicht richtig erkennt und ihre Ermessensentscheidung daher auf fehlerhafte Überlegungen stützt.
Dies ist insbesondere in den folgenden Fällen gegeben:
a) Verkennung von Grundrechten
b) Fehler bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit
Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt vor, wenn der Zweck der gewählten Maßnahme nicht legitim ist und die Maßnahme selbst nicht geeignet, erforderlich und angemessen ist.
i) Der Zweck ist legitim, wenn er auf das Wohl der Allgemeinheit gerichtet ist oder es für den Zweck ein staatlicher Schutzauftrag besteht.
ii) Die Maßnahme ist geeignet, wenn das angestrebte Ziel mit der Maßnahme zumindest gefördert werden kann.
iii) Die Maßnahme ist erforderlich, wenn es kein milderes Mittel mit dem gleichen Erfolg und vergleichbaren Aufwand gibt.
iv) Die Maßnahme ist angemessen, wenn das verfolgte Ziel gegenüber der Intensität des Eingriffs nicht unverhältnismäßig ist.
Ermessen bei automatisierten Verwaltungsentscheidungen (§ 35a VwVfG)
Mit der Einführung des § 35a VwVfG („automatisierter Erlass eines Verwaltungsakts“) wurde auch die Ermessensausübung in automatisierten Verfahren geregelt. Danach darf ein Verwaltungsakt vollständig durch eine automatische Einrichtung erlassen werden – einschließlich der erforderlichen Ermessensentscheidung –, sofern keine abweichende Rechtsvorschrift entgegensteht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Automatisierung keine unzulässige Standardisierung von individuellen Ermessensspielräumen bedeutet. Die Ermessensausübung muss also in den Algorithmen der Systeme in einer rechtlich überprüfbaren Weise angelegt sein. Diese Entwicklung bringt neue Herausforderungen in Bezug auf Transparenz, Dokumentationspflichten (§ 39 VwVfG), effektiven Rechtsschutz und gerichtliche Überprüfbarkeit von Ermessensfehlern mit sich.
Beispiel: Automatisierte Entscheidung bei Wohngeldanträgen
Ein praxisrelevantes Beispiel für die automatisierte Ausübung von Ermessen gemäß § 35a VwVfG ist die Bearbeitung von Wohngeldanträgen durch eine kommunale Behörde.
Stellt eine antragsberechtigte Person einen Wohngeldantrag, kann dieser mithilfe einer digitalen Verwaltungssoftware automatisiert bearbeitet und beschieden werden. Die Software prüft dabei automatisch, ob die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß dem Wohngeldgesetz (WoGG) erfüllt sind. Dazu zählen unter anderem die Einkommensgrenzen, die Miethöhe sowie die Anzahl der Haushaltsmitglieder.
In bestimmten Fällen räumt das WoGG einen Entscheidungsspielraum ein, etwa bei unregelmäßigem Einkommen, atypischen Lebensverhältnissen oder kurzfristigen Einkommensausfällen. Die Verwaltungssoftware ist in der Lage, diese Fälle durch zuvor festgelegte Entscheidungslogiken zu erkennen und zu bewerten. Liegt zum Beispiel eine Einkommensschwankung von mehr als 20 % in den letzten drei Monaten vor, wird der Antrag automatisch zur manuellen Prüfung an eine Sachbearbeiterin oder einen Sachbearbeiter weitergeleitet.
Wird der Antrag jedoch als klar entscheidungsreif eingestuft, kann das System eigenständig – und rechtlich wirksam – eine Ermessensentscheidung treffen. Voraussetzung ist, dass diese automatisierte Entscheidung sowohl inhaltlich nachvollziehbar als auch technisch dokumentiert wird, sodass sie gemäß § 39 VwVfG überprüfbar bleibt.
Damit die automatisierte Ermessensausübung rechtskonform ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Es darf kein gesetzlicher Ausschluss der Automatisierung vorliegen, etwa durch zwingend vorgeschriebene Anhörungen.
- Die Entscheidungslogik muss transparent, nachvollziehbar und gerichtsfest ausgestaltet sein.
- Härtefälle müssen zuverlässig erkannt und an eine sachkundige Person zur Einzelfallprüfung weitergeleitet werden.
Dieses Beispiel zeigt, wie eine Verwaltung moderne IT-Systeme im Einklang mit dem deutschen Verwaltungsverfahrensrecht einsetzen kann, ohne dabei die rechtlichen Vorgaben zur Ermessensausübung zu verletzen. Gerade im Bereich des E-Governments gewinnt die sachgerechte und kontrollierbare Automatisierung an Bedeutung.
Ermessensreduktion auf Null
In einigen Fällen wird das Ermessen allerdings eingeschränkt. Man spricht insoweit von einer Ermessensreduktion auf Null (auch als Ermessensreduzierung auf Null bekannt). In diesen Fällen ist nur eine einzige Entscheidung fehlerfrei möglich. In der Regel wird dies anzunehmen sein, wenn eine starke Beeinträchtigung zu erwarten ist oder bereits vorliegt.
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